5-Jahres-Verlauf der LRS: Stabilität, Geschlechtseffekte, Schriftsprachniveau und Schulerfolg
Abstract
Zusammenfassung.Fragestellung: Untersucht wird der Verlauf von Kindern mit Lese-Rechtschreibstörungen (LRS) über gut 5 Jahre unter Berücksichtigung des Einflusses des Geschlechts der Betroffenen. Außerdem werden Auswirkungen der LRS auf das spätere Schriftsprachniveau und den Schulerfolg überprüft. Methodik: Eingangs wurden 995 Schüler zwischen 6 und 16 Jahren untersucht. Ein Teil dieser Kinder ist nach 43 sowie 63 Monaten nachuntersucht worden. Eine LRS wurde diagnostiziert, wenn für das Lesen bzw. Rechtschreiben das doppelte Diskrepanzkriterium von 1.5 Standardabweichungen zur nonverbalen Intelligenz und dem Mittelwert der Klassenstufe erfüllt war und gleichzeitig keine Minderbegabung vorlag. Ergebnisse: Die LRS weist über einen Zeitraum von 63 Monaten eine hohe Störungspersistenz von knapp 70 % auf. Der 5-Jahres-Verlauf der mittleren Lese- und Rechtschreibleistungen wurde nicht vom Geschlecht beeinflusst. Trotz durchschnittlicher Intelligenz blieben die LRS-Schüler in der Schriftsprache mindestens eine Standardabweichung hinter durchschnittlich und etwa 0.5 Standardabweichungseinheiten hinter unterdurchschnittlich intelligenten Kindern zurück. Der Schulerfolg der LRS-Schüler glich dem unterdurchschnittlich intelligenter Kinder und fiel deutlich schlechter aus als bei durchschnittlich intelligenten Kontrollkindern. Schlussfolgerungen: Eine LRS stellt ein erhebliches Entwicklungsrisiko dar, was frühzeitige Diagnostik- und Therapiemaßnahmen erfordert. Dafür sind reliable und im Hinblick auf die resultierenden Prävalenzraten sinnvolle, allgemein anerkannte Diagnosekriterien essenziell.
Abstract.Objective: The study examines the 5-year course of children with dyslexia with regard to their sex. Furthermore, the study investigates the impact of dyslexia on the performance in reading and spelling skills and school-related success. Method: A group of 995 6- to 16-year-olds were examined at the initial assessment. Part of the initial sample was then re-examined after 43 and 63 months. The diagnosis of dyslexia was based on the double discrepancy criterion using a standard deviation of 1.5. Though they had no intellectual deficits, the children showed a considerable discrepancy between their reading or writing abilities and (1) their nonverbal intelligence and (2) the mean of their grade norm. Results: Nearly 70 % of those examined had a persisting diagnosis of dyslexia over a period of 63 months. The 5-year course was not influenced by sex. Despite average intelligence, the performance in writing and spelling of children suffering from dyslexia was one standard deviation below a control group without dyslexia with average intelligence and 0.5 standard deviations below a group of children suffering from intellectual deficits. Furthermore, the school-related success of the dyslexics was significantly lower than those of children with average intelligence. Dyslexics showed similar school-related success rates to children suffering from intellectual deficits. Conclusions: Dyslexia represents a considerable developmental risk. The adverse impact of dyslexia on school-related success supports the importance of early diagnostics and intervention. It also underlines the need for reliable and general accepted diagnostic criteria. It is important to define such criteria in light of the prevalence rates.
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